Digitale Sucht – Begrenzung in einer entgrenzten Welt

Wenn das Smartphone zur Sucht wird: Mit 18 Jahren habe ich mir mein erstes Handy gekauft. Ein Nokia mit Tastatur. Damals war es fast verpönt, eines zu besitzen. Als „Wichtigtuer“ wurden Menschen betitelt, die mit einer anderen Person über ein fast telefonzellenartiges Gerät schnurlos kommunizierten. Fast 20 Jahre später hat sich das Bild enorm gedreht. Menschen, die kein Smartphone haben, werden misstrauisch beäugt. Ein Leben ohne Internet und Handy: für viele undenkbar.

In den letzten zwei Jahrzehnten ist es durch den Siegeszug des Internets und der Mobiltelefonie zu einer tiefgreifenden Veränderung der Gesellschaft gekommen, die sämtliche Lebensbereiche betrifft: wie wir miteinander kommunizieren, wie wir uns die Welt erschließen. Die Anzahl der Reize, die jeden Tag über digitale Medien im privaten und öffentlichen Raum auf uns niederprasseln, scheint schier unendlich.

Unbegrenzte Auswahl trifft auf Endlichkeit der Zeit

„Wie alt ist der älteste Mensch bis jetzt auf diesem Planeten geworden?“ gehört zu den Lieblingsfragen, die ich Teilnehmenden in meinen Seminaren zum Thema „Digitale Balance“ stelle.

Es ist die Französin Jeanne Calment, die derzeit als ältester Mensch mit einer Lebensspanne von 122 Jahren und 164 Tagen gilt.

Für mich ist der Gedanke absolut faszinierend, dass in 125 Jahren vermutlich kein derzeit lebender Mensch mehr auf diesem Planeten sein wird. Selbst der Säugling, der just in diesem Moment geboren wird. Und auch du nicht, der/die gerade diesen Artikel liest.

Was sagt uns das? Dass Lebenszeit, dass die eigenen Ressourcen begrenzt sind. Gleichzeitig leben wir in einer Welt der unendlichen Optionen, in der Grenzen und die Endlichkeit mühelos ausgeblendet werden können.

Aus der schnellen Veränderung unserer Welt durch digitale Medien haben sich zwei Tendenzen entwickelt. Zum einen haben wir durch die unbegrenzte Auswahl bessere Passgenauigkeit – und sei es bei so banalen Dingen wie einer Hose. Wo es noch vor ein paar Jahrzehnten drei Modelle gab, steht heute für jede Beinlänge, jeden Potyp das passende Modell in 15-facher Farbauswahl bereit.  Wir haben schnelleren und besseren Zugriff zu Informationen, mehr Kontaktmöglichkeiten zu anderen Menschen quer über den Globus und zahlreiche Möglichkeiten, uns selbst zum Ausdruck zu bringen.

Digitale Medien – positive Effekte und Schattenseiten

Auch auf die direkte Gesundheit bezogen haben uns digitale Medien viel Positives gebracht. Zum einen mehr Wissen: Musste man vor drei Jahrzehnten noch eine Bibliothek für Informationen über den menschlichen Körper aufsuchen, findet man diese heute in wenigen Sekunden im Internet. Niedrigschwellige Online-Angebote bieten außerdem die Chance, dass Menschen sich schneller Unterstützung suchen bei Themen, die schambesetzt sind oder einen höheren organisatorischen Aufwand erfordern würden, wie beispielsweise psychosoziale Beratung.

Zum anderen führt die schiere Auswahl zu Überforderung und neuen Krankheitsbildern. „Fear of missing out“ nennen wir Soziologen die Angst, im Strudel der Möglichkeiten etwas zu verpassen: seien es News, die neuesten Fotos von Bekannten in Social Media oder den Moment, eine eigene Nachricht auf Businessplattformen wie Xing oder LinkedIn abzusetzen. Das führt zu einem beständigen inneren Druck und einer Entgrenzung der natürlichen, noch für den Menschen fassbaren Lebenswelt.

Die Ausbreitung von Smartphones und digitalen Geräten hat noch eine weitere Schattenseite für das eigene Wohlbefinden. Unterschiedliche Formen von Süchten stehen in direktem Zusammenhang mit den digitalen Unterhaltungsmedien, beispielsweise Porno- und Gamingsucht – über das Smartphone sind die Inhalte jederzeit abrufbar. Auch der Effekt auf andere Süchte durch die Unbegrenztheit des Internets ist zu beachten, wie bei der digitalen Kaufsucht, die sich dadurch speist, dass Waren online 24/7 und relativ anonym verfügbar sind.

Was macht digitale Geräte so attraktiv für unser Gehirn?

In die Innenschau zu gehen, Langeweile auszuhalten – Gedanken, Gefühle, unseren Körper wahrzunehmen, um diese in unserem Lebenskontext zu integrieren, ist eine Grundprämisse für die psychische Gesundheit. Mit digitalen Medien und der ständigen Verfügbarkeit von technischen Geräten können wir den Momenten der Langeweile viel einfacher entfliehen.

Hinzukommt das Glückshormon Dopamin. Wenn wir nach unserem Handy greifen, E-Mails checken, Netflix öffnen, schüttet unser Gehirn Dopamin aus. Das triggert das Belohnungssystem in unserem Körper ähnlich wie Zigaretten oder Alkohol. Es entsteht eine Sogwirkung.

Studien haben gezeigt, dass Aktivitäten in Social Media, bestimmte Online-Spiele oder das Erhalten von Nachrichten auf dem Handy ein starkes motivationales Signal an unser Belohnungssystem senden[1]. Das kann einen Drang nach mehr und mehr auslösen. Neue Gewohnheiten bilden sich aus, die schleichend Einzug in den Alltag halten. Das gleicht einer Jagd nach Glücksgefühlen, welche suchtartige Züge annehmen oder gar in einer Sucht enden kann.

In der Sucht braucht der Mensch zur eigenen Stabilisierung etwas Spezifisches, welches er sich von außen zuführt, wie ein bestimmtes Spiel, soziale Medien, etc. Ohne das erfährt er eine innere Destabilisierung, die zu körperlichen Entzugssymptomen wie Kopfschmerzen oder Zittern führt. Außerdem entsteht bei Abstinenz ein starker körperlicher Stress durch eine messbare erhöhte Ausschüttung des Stresshormons Cortisol.

Emotional-gedanklich zeigen sich Entzugserscheinungen durch das beständige Kreisen um das digitale Medium. Im Extremfall vernachlässigt die süchtige Person lebenswichtige Handlungen (essen, schlafen), um ihr Verlangen nach digitalem Konsum zu stillen.

Ausgleich eines Mangels

Die Sucht an sich ist nicht das Problem. Sie ist der Versuch, ein Problem zu lösen, beispielsweise starken Emotionen vorzubeugen, sich von Schicksalsschlägen abzulenken oder der Auseinandersetzung mit sich selbst und existenziellen Fragen zu entfliehen. Die eigentliche Frage ist, was die Ursache des Problems ist.Im Coaching geht es darum, herauszufinden, was die Kompensationsstrategien des Klienten sind, um sich von schmerzhaften Themen oder unerfüllten Sehnsüchten zu distanzieren.

Was bekannt ist: Die Mehrheit aller Menschen nutzt digitale Medien – und zum Teil exzessiv. Allein die Smartphone-Nutzung liegt je nach Alter und geografischer Lage der Stichprobe zwischen 3,8h und 8,8h pro Tag. Dort sind weder Laptops noch Tablets mit inbegriffen.

Zwei Punkte, die für einen wohltuenden Umgang mit digitalen Medien wichtig sind:

Reflexionsprozesse zum Umgang mit digitalen Medien ermöglichen

Vor allem in Coaching- und Beratungsprozessen, die das Wohlbefinden und eine konstruktive Stressbewältigung im Blick haben, kann es für den Klienten hilfreich sein, ihm Bewusstheit zu seinem Umgang mit digitalen Medien als Teil des eigenen Reflexionsprozesses zu ermöglichen:

Autorin:

Katja Schönitz | Als Soziologin M.A. und freiberufliche Beraterin verankert Katja seit vielen Jahren erfolgreich Themen der Führungskräfte und Personalentwicklung sowie des Gesundheitsmanagements in Organisationen. Neben der beratenden Tätigkeit begleitet sie Führungskräfte und Mitarbeitenden in Workshops und Coachings rund um die Gesunderhaltung und Stärkung am Arbeitsplatz. Im Mittelpunkt steht dabei vor Themen wie:
Gesunde Führung, erfolgreiche (digitale) Kommunikation sowie Stressbewältigung und Resilienz. Zusätzliche Schwerpunkte wie der balancierte Umgang mit digitalen Medien sowie die konstruktive Beziehungsgestaltungim Business runden ihr Portfolio ab.

Quellenangaben: Koch, Christoph: Digitale Balance – mit smarter Handynutzung leichter leben. München, 2021.Roberts J, Yaya L, Manolis C. Die unsichtbare Sucht: Handy-Aktivitäten und Sucht bei männlichen und weiblichen College-Studenten. Zeitschrift für Verhaltenssucht. 26.08.2014;3(4):254–65. pmid:25595966.Schulz van Endert T, Mohr PNC (2020) Vorlieben und Impulsivität: Untersuchung des Zusammenhangs zwischen tatsächlicher Smartphone-Nutzung und Verzögerungsrabattierung. PLoS ONE 15(11):e0241383.https://doi.org/10.1371/journal.pone.0241383.https://www.presseportal.de/pm/112066/3638753

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